Berliner Zeitung über Walk&Talk Berlin
Walk and Talk: Funktioniert eine Psychotherapie an frischer Luft?
Walk and Talk: Funktioniert eine Psychotherapie an frischer Luft?
Michael Hafemann – Die Linde
Dr. med. Alexander Brümmerhoff ist langjährig erfahrener ärztlicher Psychotherapeut, Oberarzt, Psychiater, Coach, Hypnotherapeut und systemischer Supervisor und arbeitet sowohl klinisch als auch freiberuflich mit Menschen jeden Alters. Neben seiner klinischen Tätigkeit ist er Begründer von Walk and Talk berlin Beratung-Coaching-Therapie und nutzt dieses besondere Setting als wirksame und kreative Methode um Menschen in Veränderungsprozessen zu unterstützen.
Ich muss zugeben, bei all dem Leid, ich habe Corona nicht nur als negativ erlebt, sondern auch als besonders nachdenklich. In den ersten sehr ruhigen Wochen war mein wichtigstes Wort: Eigentlich….
Ja, in der Tat, da ging es mir ähnlich . Zum Beispiel wurde Zeit für Wesentliches frei. Privat und beruflich. In der Klinik ,in der ich tätig bin, mussten Teamsitzungen ,bezogen auf die Menge der Teilnehmer und der Häufigkeit, gekürzt werden. Man traf sich gezwungenermaßen auf dem Gang, draußen im Freien mit selbst mitgebrachten Getränken. Es entstand eine andere Art der Gesprächskultur. Häufig direkter, persönlicher, fokussierter. …. ich denke so ging es Vielen.
Aber es gibt da auch eine weniger erfreuliche Seite der „Corona-Kultur, oder?
Natürlich war auch für mich als ärztlicher Psychotherapeut und Psychiater auch massiv die negative, sehr belastende Seite für viele Menschen spürbar. Bei sozial unsicheren Klienten nahmen massiv die Einsamkeitsgefühle, damit verbundene Angstgefühle und existentielle verunsichernde Bedrohungsgefühle zu. Aber nicht nur mit den Klienten , sondern auch Im Austausch mit Kollegen und Freunden ergaben sich im Prozess des erzwungenen Herunterschaltens viele neue Fragestellungen, die mit dem Ausgestalten des eigenen Lebens, dem Sinnerleben von wenigen, wirklichen Kontakten und der Sinnlosigkeit von dem „sich von einem zum anderen Termin hetzen lassen“ zu tun hatten. Insgesamt war und ist für mich ungemein interessant, wie wertvoll Menschen diese positive Seite, die positiven Erfahrungen erlebt haben, …ich meine damit so positiv, dass sie sie mit in ihren „alten“ Alltag nehmen, weiterleben, trotz Ende des Lockdowns.
Der Begriff „Eigentlich“ unterscheidet die innere Einsicht von der umgesetzten Realität so wie in: Corona ist natürlich schrecklich, aber die Zwangspause war irgendwie auch sehr schön. Damit deutet der Begriff auf unsere Entfremdung hin – macht den Unterschied zwischen dem inneren und dem äußeren Menschen deutlich.
Auch da stimme ich Ihnen zu. In den vergangenen Tagen las ich „Freiheit und Schicksal“ von Rollo May. Er erinnerte unter anderem an die Wichtigkeit von Pausen, was ja in Coronazeiten eine Art gesellschaftliches Thema war. Pausen sind etwas was in unserer westlichen Welt völlig anders bewertet wird als in anderen Kulturkreisen. Pause im Japanischen heißt „ma“ und bedeutet sinnerfülltes Intervall. In unserem Sprachgebrauch wird Pause eher als leere Zeit oder Leerraum verstanden. May ist überzeugt, dass Pausen die Voraussetzung für Verwunderung sind. Erst so würden Reflexionen entstehen, Erwägungen, Überlegungen. Wenn wir nur umherhasten, so Rollo May, verzichten wir auf das Füllhorn des Staunens. Und wir verlieren die Verbindung mit unserem Schicksal.
Ist die Pause eigentlich Teil der Ich-Werdung obwohl „Pause machen“ in einer Welt des neoliberalen Kapitalismus eigentlich nur für ein kurzes Wiederaufladen der biologischen Batterie vorgesehen ist. Und wenn ja: Wie könnte man „Pausieren und Reflektieren“ in der Gesellschaft wieder populärer machen?
Ich denke, wie so Vieles funktioniert es nicht, wenn man Menschen etwas nahe bringen will, ohne dass sie es, egal ob zunächst freiwillig oder unfreiwillig wie beim Lockdown, selber erfahren und als „positiv“ abgespeichert haben. Insofern geht das „populärer machen“, meinem Empfinden nach, nur über den Austausch darüber, das behutsame Spiegeln und Bewusstmachen der erlebten Erfahrungen als Wert zu definieren. Dabei frage ich mich auch, wann überhaupt in uns nachhaltig wertvolle Erfahrungen durch Pausieren entstehen.
In den großen Weltreligionen hat das Pausieren oder Meditieren oder meinetwegen auch das Beten einen festen Platz. Es dient der Selbstreflexion und dem Andocken an das Metaphysische. Dies scheint mir aber ziemlich aus der Mode gekommen zu sein. Wie soll denn der Mensch der 2020 Jahre den Nutzen der Pause erkennen?
Wenn Menschen erkennen, dass in diesen Phasen des Herunterschaltens, einer Phase des zunächst erzwungenem Reduzierens eigener Aktivitäten, Platz im Sinne von Freiraum im Kopf entsteht, dann erzeugt das, wie auch Rollo May anmerkt , eine Art von Verwunderung. Verwunderung ist die Voraussetzung, neue Möglichkeiten im Leben zu erkennen. Und da das Erkennen neuer Möglichkeiten bei den meisten Menschen mit einem noch undefiniertem Freiheitsgefühl verbunden ist, …da sind wir wieder bei den Existentialisten…. freuen sie sich, fühlen sich lebendiger ,zufriedener und gelassener, und beginnen dieses Pausieren als etwas Positives zu bewerten und abzuspeichern. Wenn sie dann merken, dass dieser neue oder wiederentdeckte Freiraum kostbar ist, dann ist das ein erster Schritt, sich auch dann an dieses Freiraumgefühl zu erinnern, wenn der Lockdown vorüber ist und der Hamsterrad-Alltag wiedereinsetzt.
Viele von uns müssen aber den richtigen Umgang mit Freiräumen regelrecht neu lernen!
Stimmt, wir müssen nicht nur lernen Freiräume wieder zu genießen, Ihre Art für uns zu erkennen, sondern wir müssen den Mut zum Nicht-Dazuzugehören als Fähigkeit und Ressource benennen, fördern und unterstützen. Und natürlich geht es auch um die Angst vor Stille in dem Moment, in dem man es wagt, nichts zu tun ,als mit sich selbst zu sein. Ich habe viele Menschen, Jugendliche und Erwachsene erlebt, die in nicht gut vorbereiteten therapeutischen Meditationsübungen starke Krisen und Angstgefühle erlebten. Es geht also darum trotz dieser Angst vor Isolation, Einsamkeitsgefühle gelegentlich besser auszuhalten.
Bei Menschen, die ihr Wohlbefinden über eine Smartwatch mit Fitness Tracker abrufen wird dies schwierig. Freiräume sind für Siri und Alexa keine nutzbringende Begriffe. Was macht dann eigentlich der heutige Mensch mit seinem stressgeplagten Bewusstsein mit diesen Freiräumen?
Die Frage ist, wann ein Freiraum als wirklich kostbar empfunden wird, so kostbar, dass er im Gehirn im bleibende Spuren hinterlässt und womöglich tatsächlich unser Verhalten langfristig verändert. Ich glaube, als kostbar empfunden wird neuer Freiraum dann, wenn er bei Menschen mehr zu dem führt, was Ihnen wirkliche Freude bedeutet. Zum Beispiel: Simpele Freude beim gemeinsamen Spazierengehen. Ich hörte in meinem Berliner Freundes- und Verwandtenkreis von Paaren, die dadurch, dass es in der Lockdownzeit nicht mehr empfehlenswert war öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, und man nur noch zu zweit mit Personen aus dem gleichen Haushalt draußen unterwegs sein durfte, begannen ihren Stadtteil im Detail zu Fuß zu erkunden, oder Spaziergänge und Erkundungen zu zweit zu Fuß zu machen. Auch ich machte dies mit meiner Familie gelegentlich noch am späten Abend.
Also gemeinsam entschleunigen und dabei Nähe herstellen?
Ja, das war dann in der Reflexion nicht nur etwas zusätzlich gemeinsam Erlebtes, sondern auch Zeit sich beim Nebeneinanderherlaufen entschleunigter als sonst auszutauschen. Etwas was im hektischen Alltag, in dem die wenigen Pausen hauptsächlich zum individuellen Abschalten genutzt werden, häufig zu kurz kommt.
Diese kreative Entschleunigung beim langsamen Spazieren ist auch etwas, was ich bei meinem Walk &Talk-Stunden erlebe und von meinen Klienten hinterher häufig als Feedback bekomme. Sie erleben im gemeinsamen langsamen Gehen, Schweigen, Innehalten, Reden, Verweilen, Weitergehen einen Prozess, in dem es ihnen besser gelingt als zuvor ihren tatsächlichen inneren Bedürfnissen aktiv pausierend zuzuhören. Und genau darauf kommt es meiner Meinung nach an, wenn man Pausieren, Innehalten als kostbar erlebt. Man erlebt, dass man nicht blindlings einem von außen auferlegten durch Leistung, Selbstoptimierung und Effektivität geprägten Lebenssinn folgt. Im Gegenteil, man beginnt sich seinen inneren Sinnen, Gedanken und Werten im Pausieren zu öffnen, ihnen tatsächlich zuzuhören und sie zu seinem Verstand in Beziehung treten zu lassen.
Freiräume, „sich fallen lassen“ vielleicht auch Meditation sind so etwas wie kulturübergreifende Archetypen der Menschheit. Keine Religionsschöpfung ohne einen Gang in die Wüste oder anderer Stätten sozialer Enthaltsamkeit. Nur sehr wirkungsmächtig sind diese Archetypen nicht mehr. Müssen wir sie vielleicht quasi modernisieren, um sie dem „Homo Internet“ verständlich zu machen?
Ich verstehe, wie Sie es meinen. Dennoch klingt der Begriff „Homo Internet“, wie sie ihn in der Frage verwenden, für mich etwas zu erhaben, über den Dingen stehend. Aus der reinen „Modernisierer-Perspektive“ darüber nachdenkend , ist so, als ob „WIR“ in dem Bus mit den wirklich schlauen, wissenden , weisen Menschen sitzen, die milde lächelnd erkannt haben das Freiraum, Meditation, Pausen die wahren Heilsbringer sind. Der „Homo Internet“ sitzt somit in dem Bus mit den Doofen, die lemming-artig Instagram und You Tube Helden folgen und das Wort Freiraum als Moment drohender untragbarer Langeweile ansehen. Anzuerkennen, dass wir alle in diesem Bus mit den Doofen sitzen, ist nicht nur wahrheitsgetreuer, wenn ich mich selbst beim Abendessen im Urlaub mit meinen Kindern betrachte, wie ich dazu neige schnell mal zum Handy zu greifen, um nachzuschauen, ob ein Redakteur mir geantwortet hat, meine Website besucht wurde etc., sondern irgendwie auch erleichternder.
Was soll daran erleichternd sein?
Erleichternder deshalb, weil ich mir eingestehen kann mit einundfünfzig Lebensjahren und trotz Status als, wie ich mich selber nenne, “ langjährig erfahrener ärztlicher Psychotherapeut“ genauso menschlich-anfällig für den Wunsch bin „dazuzugehören und erfolgreich zu sein“ und selbst so bin wie die anderen „ Doofen“-Gehetzten. Etwa wenn ich mir von meiner 15 jährigen Tochter im Restaurant sagen zu lassen muss, wieder mal gescheitert zu sein an der Urlaubsregel „ kein Handy“ beim Essen“. Spätesten dann wird klar, dass der getriebene „Homo Internet“ beileibe nicht nur in der nachfolgenden Generation sonst längst in uns allen steckt.
Und was ist jetzt „eigentlich“ mit meinen Archetypen?
Ich denke, es ist nicht unbedingt notwendig die Archetypen zu modernisieren, um Menschen egal welches Alters in unserer Zeit den Wert des Freiraums schmackhafter zu machen. Notwendig ist es jedoch dem treibenden Faktor ins Auge zu blicken, der uns daran hindert dieses unendliche mehr an Möglichkeiten, was uns zum Beispiel die Internet-Welt bietet, mit mehr Zurückhaltung zu nutzen. Dieser treibende Faktor ist meiner Meinung nach die Ur-Angst des Menschen nicht dazuzugehören, isoliert zu sein.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ich erlebe viele Klienten, während meiner Walk& Talk- Stunden, die schwere Burnout-Symptome durchleiden. Wenn wir nebeneinander gehen und reden, wird häufig deutlich , dass der Grund der psychischen und physischen Erschöpfung nicht das Zuviel an Arbeit, sondern die häufig quälende Angst ist, in persönlich erlebten Überlastungssituationen von den ( scheinbar) durch die Arbeitsumstände -vorgaben oder Anforderungen nicht belasteten Kollegen, gruppendynamisch ausgeschlossen, bzw. von Vorgesetzten kritisiert oder gedemütigt zu werden. Selbst in gesundheitlichen Einrichtungen, Kliniken und Instituten , in denen es um die psychische Gesundheit von Patienten geht, entwickeln sich durch immer stärkere betriebswirtschaftliche Einflüsse, Situationen die solche Überforderungsgefühle und Gefühle des Nicht-Dazugehörend massiv fördern.
Es lebe das neo-liberale Gesundheitssystem!
Die Sorge hinter dem wirtschaftlicher handelndem Kollegen zurück zustehen bzw. weniger Anerkennung vom Vorgesetzten zu erlangen, ist gerade denke ich in Zeiten, in denen der Konkurrenzdruck zwischen Kliniken wächst, enorm. Ich erlebe das nicht an meiner Klinik, höre dies aber von Kollegen und Freunden in verstärktem Masse. Mut aufzubringen, dagegen zu argumentieren, Mut eigene Karrierechancen damit zu gefährden, als Jugendlicher Mut in der Schule aufzubringen nicht über den neuesten Influencer , Blogger oder You Tube Helden Bescheid zu wissen, als junger Erwachsener ein freiwilliges soziales Jahr als Freiraum zu nehmen, statt sofort zu studieren, um Karrierechancen zu verbessern, das braucht die Fähigkeit das Gefühl des Nicht-Dazuzugehören und auch damit verbundene Gefühle von Scham und Einsamkeit auszuhalten.
Wo setzt hier nun der Therapeut an?
Meine therapeutische Herangehensweise ist eine systemisch und humanistisch geprägte. Mein Ansatz ist es, Menschen darin zu stärken, unangenehme, bedrohlich erscheinende Gefühle und Gedanken, die mit Isolation und Einsamkeit zu tun haben nicht grundlegend abzuwehren bzw. durch rein sicherheitsorientiertes Handeln zu vermeiden. Wenn ich mir klar mache, dass viele Gefühle wie Angst, Sorge, Kummer rein menschlicher Natur sind, zu uns Allen gehören und erst die Vermeidung dieser Gefühle zu Leid im Sinne von Entfernung von meinen eigenen Werten und Möglichkeiten ,verbunden mit reduzierter Lebenszufriedenheit führt….dann gewinne ich Handlugsspielraum, psychische Flexibilität und bin einen Schritt weiter gekommen. Das braucht Mut und häufig Unterstützung von beraterischer oder therapeutischer Seite. Mit Klienten in belastenden Lebenssituationen zu besprechen, dass Einsamkeit ,in solchen Momenten der mutigen Individuation, genau die Einsamkeit ist, die wir bisweilen alle erleben, und die sich vom Menschsein nicht trennen lässt, sondern gerade zu ihm gehört. und uns schicksalhaft in unserem Menschsein vereint, das entlastet häufig und eröffnet Handlungsspielraum.
Corona scheint auch in der Psychotherapie ein Art Katalysator zu sein?
Wenn man es wagt, mit Entscheidungen gegen den Druck des „Dazugehörenwollens“, wirklich man Selbst und in seinem eigenen Selbstbewusstsein allein zu sein, dann erkennt man irgendwann, dass man genau diese Angst vor der Einsamkeit und des „Nicht-Dazugehörens“ schrittweise überwindet und viel freier und selbstbewusster wird, handelt und wertvolle Beziehungen knüpft. In diesem Zusammenhang gibt es noch eine andere Facette der empfundenen Entlastung und Belastung. Zu Lockdown-Zeiten in der Coronakrise fielen viele soziale Aktivitäten weg. Für Alle. Die Gefahr soziale Situationen zu erleben, in denen ein „Nichtdazugehörigkeitsgefühl“ entstehen kann wurde minimiert. Ich erinnere mich an eine gute Bekannte, die scherzhaft, aber mit durchaus ernstem Unterton erzählte, dass sie bei Ankündigung der Lockerungen der Corona-Regeln eine Panikattacke erlebt habe.
Danke für das Gespräch!
Im Japanischen heißt die Pause „ma“ und bedeutet: Sinnerfülltes Intervall